Die Gründung des Landes Niedersachsens 1946

Im Rahmen des Länderfinanzausgleichs kommt es in unseren Tagen immer wieder zu der Forderung nach einer Neugliederung des Bundesgebietes. Da fordern die "reichen" Länder den Zusammenschluss der "ärmeren" zu größeren Einheiten. Zu letzterer Gruppe von Ländern gehört leider auch unser schönes Niedersachsen. verschiedene Vorschläge wurden schon erarbeitet, da ist beispielsweise von einem "Nordstaat" die Rede, bestehend aus Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern mit Sitz der Regierung in Hamburg als zentrale Stadt. Aber auch der Zusammenschluss Niedersachsens mit Bremen und Sachsen-Anhalt, als Partnerland Niedersachsens, wurde mehr als einmal vorgeschlagen.
Kaum einer kann sich heute noch daran erinnern, dass es fast dieselbe Diskussion schon direkt nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat, als das heutige Niedersachsen noch aus den selbständigen Ländern/Freistaaten Braunschweig, Oldenburg, Schaumburg-Lippe und der preußischen Provinz Hannover bestand. Auch hier wurde teils heftig über einen Zuzsammenschluss der Länder gestritten, vor allem in der Abgrenzung eines "Nieder-Sachsen" kämpften beide Seiten um jeden Kilometer und es dauerte immerhin über 1 Jahr bis das uns heute vertraute Bundesland Niedersachsen gegründet wurde.

 

Die Ausgangslage unter den Alliierten

Am 5. Mai 1945 trat der Waffenstillstand im Westen in Kraft und mit Ausnahme Ostfrieslands und dem Kreis Hadeln war er von der alliierten 21. Armeegruppe der Briten besetzt. Schon bald nach seinem Amtsantritt Ende August 1945 bemühte sich der Chef der Militärregierung, General John Lingham, eine Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen der ehemaligen preußischen Provinz Hannover und der formal selbständigen Länder Braunschweig und Oldenburg zu erreichen und teilte am 17. September 1945 dem hannoverschem Oberpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf, der just an diesem Tage zum Nachfolger Eberhard Hagemanns ernannt worden war, sowie den beiden Ministerpräsidenten Theodor Tantzen (Oldenburg) und Hubert Schlebusch (Braunschweig) mit, daß die Provinz Hannover und die beiden Länder zum Zwecke der Militärregierung zusammengefaßt würden.

 

Erste Versuche zu einem eigenständigen Land Niedersachsen

Dieses war Kopf nur recht, denn er hatte schon im Vorfeld sich für die Bildung eines Landes Niedersachsen ausgesprochen. So hatte er Ende Juni 1945 ein Manifest erarbeitet, in dem der Wunsch der Provinz Hannover sowie der Länder Oldenburg und Braunschweig bekannt gegeben wurde, sich in dem Land Niedersachsen zusammenzuschließen, und es könnten sich weitere Gebiete angliedern. Dieses Manifest sollte den Parteien, Gewerkschaften, Wirtschafts- und Landwirtschaftskammern, Vertretern der Kirchen und vor allem der Repräsentanten der Länder Oldenburg und Braunschweig zur Unterschrift vorgelegt werden, doch wie von einigen erwartet, weigerten sich die oldenburgische unter Ministerpräsident Tantzen und die braunschweigerische unter Ministerpräsident Schlebusch Seite dem Papier zuzustimmen. Auch einzelne Zugeständnisse Kopfs an die beiden Länder brachten nicht die Ratifizierung des Manifests. Erst nach der Aufforderung Linghams kam es tatsächlich am 29. September 1945 zur Unterzeichnung eines Staatsvertrages zwischen den dreien, der vorsah, ein Gemeinschaftsministerium mit der Bezeichnung "Länderregierung für Reichsaufgaben in Niedersachsen" zu gründen. Dieser Vertrag wurde jedoch von der Besatzungsmacht nicht genehmigt. Lingham kritisierte das Wort "Vertrag", denn nach seiner Meinung befänden sich die Länder nicht in einer Position, in der sie von sich aus Verhältnisse regeln könnten.

 

Die preußische Provinz Hannover soll ein eigenständiges Land werden

Statt dessen schuf er einen Verwaltungsrat für Niedersachsen (Hannover Regional Council) und ernannte Kopf zum Vorsitzenden, Schlebusch und Tantzen waren ihm als Mitglieder gleichberechtigt. Neben der Gründung eines Landes Niedersachsens war Kopf auch schon früh bestrebt, seine Provinz Hannover zu einem Land durchzusetzen und so überreichte er der Militärregierung am 6. November 1945 ein Dokument, unterschrieben von Vertretern der Parteien, Kirchen und anderen Organisationen: "Der preußische Staatsverband besteht nicht mehr. Die bisherige Provinz Hannover ist für ihren Bereich Träger der Staatshoheit geworden. Hannover ist nunmehr ein Land des Deutschen Reiches. In einmütigem Entschluß aller sie repräsentierenden Verbände tritt die Bevölkerung des Landes Hannover auf den Boden dieser Tatsache. Sie erwartet von ihren Vertretern die alsbaldige Inangriffnahme einer demokratischen Neuordnung. Die Regierung und Verwaltung des Landes führt der Oberpräsident als Landespräsident." Die Antwort Linghams am 6. November 1945 war ablehnend, doch wolle man dieses Dokument bei späteren Diskussionen mit einbeziehen. So blieb Hannover also vorerst Provinz.

 

Der Gebietsrat Hannover-Oldenburg-Braunschweig und der Zonenbeirat

In der Zwischenzeit hatte sich der "Gebietsrat Hannover-Oldenburg-Braunschweig" am 15. November endgültig konstituiert. Seit Ende Oktober intensivierte Kopf seine Kontakte mit Bremen, denn die Hansestadt gehörte zwar offiziell zur britischen Besatzungszone, aber militärisch gesehen, war die Stadt mit den Landkreisen Wesermarsch, vormals Oldenburg, Osterholz und Wesermarsch, vormals beide zu Hannover gehörig, unter amerikanischer Besatzung. So mußte Bremen auch an der Arbeit des Gebietsrates teilnehmen, schon alleine wegen der drei Landkreise, die zu Niedersachsen gehören sollten. Die Gespräche hatten Erfolg und schon auf der 2. Sitzung am 20. Dezember 1945 trat Bremen durch seinen Senatspräsidenten Wilhelm Kaisen dem Gebietsrat bei. Schon im Oktober ´45 wurde eine zweite Institution ins Auge gefaßt und am 11./12. Dezember gaben Vertreter der britischen Militärregierung bekannt, man wolle einen Zonenbeirat mit Sitz in Hamburg schaffen, dem ein ständiges deutsches Sekretariat angegliedert sein solle. Am 15. Februar 1946 wurde dieser Zonenbeirat offiziell ins Leben gerufen und die Zusammensetzung bestimmt: höchstens 8 Vertreter der politischen Parteien, 6 Chefs der Länder und Provinzen, wobei Oldenburg, Braunschweig, Lippe und Bremens jeweils im Wechsel einen Vertreter entsandten, 11 Vertreter der "Sachgebiete", 2 der Gewerkschaften und 2 der Verbrauchergenossenschaften. Am 6. März fand die Eröffnungssitzung des Zonenbeirats in Hamburg statt. Lehr wurde zum Vorsitzenden gewählt und Kopf in den Geschäftsordnungsausschuß berufen.

 

Die Denkschrift von Hinrich Wilhelm Kopf

Hinrich Wilhelm KopfAm 1. April 1946 trat Kopf mit einer Denkschrift zugunsten der Bildung eines Landes Niedersachsen an die britische Militärregierung heran. Darin forderte er eine Dreiteilung der britischen Zone in ein rheinisch-westfälisches Gebiet, niedersächsisches Gebiet und ein schleswig-holsteinisches Gebiet einschließlich Hamburg. Zu Niedersachsen sollten gehören: Hannover, Oldenburg, Braunschweig, Bremen, Lippe und Schaumburg-Lippe sowie die westfälischen Kreise Minden, Tecklenburg, Bielefeld, Herford und Halle. Dagegen stellte sich Oldenburg, das im Mai 1946 ebenfalls in einer Denkschrift die Bildung eines Bundesstaates "Weser-Ems" forderte. Dieser sollte aus dem Land Oldenburg, der Hansestadt Bremen und den Regierungsbezirken Aurich und Osnabrück bestehen. Doch schien den Oldenburgern dieser Raum mit knapp 15.000 km² zu klein zu sein und wollten den "Bundesstaat Weser-Ems" noch um die angrenzenden Gebiete erweitern. Das waren die hannoverschen Landkreise Diepholz, Syke, Osterholz-Schambeck und Wesermünde. Die Denkschrift von Kopf fand vor allem beim Oberpräsidenten von Westfalen, Dr. Lehr, besonderes Interesse. Er war zwar kein prinzipieller Gegner der Dreiteilung der britischen Zone, doch die von Kopf vorgeschlagene "Teutoburger-Wald-Linie" als Grenze konnte lehr nicht akzeptieren und schlug Kopf in einem Brief vom 17. Mai 1946 die "Weser-Grenze" vor. Das bedeutete den uneingeschränkten Erhalt der Provinz Westfalen, zuzüglich Lippe-Detmolds und des Regierungsbezirks Osnabrück.

 

Der Sonderausschuß des Zonenbeirats und die Gründung Nordrhein-Westfalens

Am 4. Juli 1946 wurde endlich der Zonenbeirat aufgefordert, Vorschläge zur Neugliederung der britischen Zone zu erarbeiten. Die Mitglieder sollten einen Sonderausschuß bilden, der sich mit dieser Neugliederung befassen sollte, jedoch machten sie auch Vorschriften, wie, daß die Grundlage der Verwaltung Länder sein sollten, die Anzahl der Länder nicht fünf überschreiten dürfe und über ein neu zu schaffendes Land Nordrhein-Westfalen nicht zu entscheiden sei. Diese Einschränkung zeigt, daß die Gründung eines Landes Nordrhein-Westfalen schon im Sommer in London in Erwägung gezogen wurde, denn auf der Pariser Außenministerkonferenz (15.6. - 12. Juli 1946) hatte sich gezeigt, daß sich die 4 Besatzungsmächte hinsichtlich der Zukunft des Ruhrgebietes nicht einigen konnten. Briten und Amerikaner waren gegen die französische Forderung, das Ruhrgebiet von Deutschland abzutrennen und zu internationalisieren, wie auch gegen die sowjetische Forderung nach einer Beteiligung an der Verwaltung des westdeutschen Schwerindustriezentrums. So entschieden sie sich ein Land als Eigentümer einer sozialisierten Schwer- und Grundstoffindustrie an Rhein und Ruhr zu bilden, um so den französischen und sowjetischen Forderungen entgegen zu wirken. So wurde am 23. August 1946 das Land Nordrhein-Westfalen gegründet und Dr. Amelunxen zum ersten Ministerpräsidenten des neuen Landes ernannt. Jetzt hatte der Sonderausschuß des Zonenbeirats nur noch über die Neugliederung des übrigen Teile der britischen Zone zu entscheiden. Kopf konzentrierte sich jetzt vollends auf die Arbeit des Sonderausschusses, denn er mußte jetzt damit rechnen, daß die Pläne von Lehr (Abrundung Westfalens) und der Oldenburger ("Land Weser-Ems") auf jeden Fall vorgebracht werden würden. So ließ er unter Heranziehen von Experten einen neuen Niedersachsenplan entwerfen und vorlegen.

 

Die Gründung eines Landes Hannover

Am 23. August 1946 ging dann ein alter Wunsch Kopfs in Erfüllung, denn durch die Verordnung Nr.46 wurden die früheren preußischen Provinzen innerhalb der britischen Besatzungszone zu Ländern erhoben. Auf den Tag genau 80 Jahre nach dem Prager Frieden von 1866, indem die Einverleibung des Königreiches Hannover in den preußischen Staat beschlossen wurde, wurde Hannover wieder ein eigenständiges Land. Bereits im Mai 1946 war das Land Schaumburg-Lippe den Regierungsbezirk Hannover angeschlossen worden und der neue Ministerpräsident Kopf bildete jetzt sein erstes Allparteien-Kabinett aus 7 Ministern. Doch war dieses Land Hannover noch nicht Kopfs eigentliches Ziel, er wollte ein Land Niedersachsen. Die endgültige

 

Die Gründung des Landes Niedersachsen

Am 18. September 1946 kam es dann zu der entscheidenden Sitzung des Sonderausschusses des Zonenbeirats. Es lagen insgesamt sechzehn Gutachten und Erklärungen vor, wobei die von Schuhmacher, Lehr, Kopf und Tantzen/Kubel das größte Gewicht hatten. So kamen schließlich folgende Gutachten zur Abstimmung. 1. das Gutachten von Schumacher. Er trat für eine Zweiteilung der Britischen Zone ein, da Nordrhein-Westfalen schon gegründet sei mit über der Hälfte der Einwohner der Zone, so müsse ein ähnlich starkes Land dem gegenüber stehen. 2. das Gutachten von Lehr. Er hatte aufgrund der Gemeinsamkeiten mit dem Gutachten Kopfs bereits ein Änderungsvorschlag ausgearbeitet, um diese beiden Pläne anzugleichen. So verzichtete Lehr auf den Regierungsbezirk Osnabrück, wenn Kopf seinerseits auf die nach zwei Jahren durchzuführende Volksbefragung im Raume Lippe und Minden-Ravensberg verzichtete. Weiterhin schlug er auch eine Dreiteilung der britischen Zone mit zwei Stadtstaaten, Hamburg und Bremen, vor. 3. das Gutachten von Kopf, der auch eine Dreiteilung mit 2 Stadtstaaten vorschlug, doch in Lippe-Detmold, Minden und Tecklenburg solle es eine Volksabstimmung über den Verbleib bei Westfalen oder Niedersachsen geben. 4. das Gutachten von Tantzen (Oldenburg) und Kubel (Braunschweig). Sie traten für eine Fünfteilung mit zwei Stadtstaaten ein. Es sollte das Land Weser-Ems, das Land Hannover ohne die Regierungsbezirke Aurich, Osnabrück und Hildesheim, aber einschließlich der Kreise Minden, Lübbecke und Schaumburg-Lippe, das Land Braunschweig einschließlich des Regierungsbezirkes Hildesheim und des Kreises Gifhorn, sowie das Land Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. 5. das Gutachten der beiden Hansestädte Bremen und Hamburg, sie plädierten lediglich für die Beibehaltung der Stadtstaaten, zur Gliederung der britischen Zone machten sie keine Vorschläge. Nur das Gutachten von Kopf erhielt im Sonderausschuß des Zonenbeirats bei der Abstimmung eine Zweidrittelmehrheit. Dieses Ergebnis wurde der britischen Kontrollkommission mitgeteilt und auf der Sitzung des Zonenbeirats am 23. Oktober 1946 erfolgte die Stellungnahme Robertsons vor dem Zonenbeirat: Drei Pläne hatte man in die engere Wahl gezogen: Kopf, Schuhmacher und Tantzen/Kubel. Robertson teilte mit, daß der Vorschlag Kopf die beste Basis für das kommende Land Niedersachsen sei. So sollte das Land aus den bisherigen Grenzen des Militärregierungsbezirks Hannover bestehen, Bremen ausgenommen. Über Lippe und Regierungsbezirk Minden, sowie Cuxhaven, das zu der Zeit noch zu Bremen gehörte, sollte später befunden werden. Schon acht Tage später, am 1. November 1946, wurde durch die Verordnung Nr. 55 das Land Niedersachsen offiziell gegründet. Kopf hatte sich mit seinem Plan eines "großen" Niedersachsen im wesentlichen durchgesetzt, wenn er auch auf Lippe-Detmold und Teile Westfalens im Raum Minden/Lübbecke verzichten mußte.

 

Niedersachsen heute:

  Einwohner Fläche Einwohner je km²
       
Niedersachsen 7 845 398 47 613,4 km² 164,8
       
Regierungsbezirk Braunschweig 1 673 828 8 097,5 km² 206,7
Regierungsbezirk Hannover 2 150 450 9 045,6 km² 237,7
Regierungsbezirk Lüneburg 1 630 776 15 505,1 km² 105,2
Regierungsbezirk Weser-Ems 2 390 344 14 965,1 km² 159,7

 

Städte über 100 000 Einwohner:

Hannover 520 670

Braunschweig 248 944

Osnabrück 166 653

Oldenburg 153 531

Göttingen 127 366

Wolfsburg 122 798

Salzgitter 115 453

Hildesheim 105 405

 

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